Mit Logik und Rationalität für die Zukunft

Es lag in der Luft. Die globale Schulstreik-Bewegung ist Ende letzten Jahres nicht aus dem Nichts entstanden. Schon Monate zuvor rumorte es in vielen Ländern: Grossdemonstrationen in Frankreich, Brückenbesetzungen in London, Blockadeaktionen im deutschen Hambacher Forst und schliesslich der seit Monaten anhaltende freitägliche Streik von Greta Thunberg vor dem Parlamentsgebäude in Stockholm. Im Vorfeld der Klimakonferenz von Kattowitz Ende Jahr stieg der Unmut weiter an: Die immer verheerenderen Berichte von Klimaforschern stand die Untätigkeit der Politik gegenüber.

In der Schweiz ging Ende Jahr plötzlich alles sehr schnell: Am 14. Dezember streikten rund 300 SchülerInnen in Zürich, eine Woche später waren es bereits 2000 in den Städten Zürich, Bern, Basel. Am 18. Januar schweizweit 22000 und am 2. Februar schliesslich rund 60 000. Die Entstehung dieser Bewegung war kein Selbstläufer: Es brauchte die Spontanität einiger SchülerInnen, dann aber auch das organisatorische Talent und den Willen von Vielen, aus einer verbreiteten Unzufriedenheit eine organisierte Kraft entstehen zu lassen. Das erforderte und erfordert weiter viel Arbeit, Mut und die Bereitschaft zu kooperieren, um gemeinsam weiter an Stärke zu zulegen. Antreibend und verstärkend wirkt die globale Ausbreitung der Bewegung.

Noch ist die Bewegung kaum ein halbes Jahr alt, und doch hat sie in der Schweiz scheinbar schon viel erreicht. Mit ihren Streiks und Demonstrationen ist es den SchülerInnen gelungen, das Thema Erderhitzung zum einem zentralen Thema der Politik werden zu lassen. Mindestens der Slogan Klimanotstand konnte in der breiten Öffentlichkeit verankert werden, Vorstösse und Beschlüsse von diversen kantonalen und lokalen Parlamenten waren die Folge. Die Stärke der Bewegung ist ihre moralische Überlegenheit: «Eusi Zuekunft!» ist ein sackstarkes Argument. Wer will der Jugend ernsthaft ihr Recht auf Zukunft verweigern?

Natürlich blieben dennoch Gegenreaktion nicht aus. Die Neokonservativen und Ultraliberalen aus dem Umfeld der SVP und FDP sprechen von «Übertreibung» und «Hysterie» und möchten doch einfach, dass alles so weiterläuft wie bisher. Dabei ist die Klimabewegung sehr rational: Sie orientiert sich am aktuellen Stand der Forschung und folgert völlig logisch, dass dringender Handlungsbedarf besteht. Dazu mobilisiert sie möglichst viele Leute, um den Druck auf die Politik zu erhöhen. Die Jugendlichen ergreifen faktisch ihre einzige Chance, die sie haben.

Doch es ist offensichtlich, die Bewegung soll irgendwie diskreditiert werden: Eine andere Strategie dazu ist es, ihren Mitgliedern eine Mitschuld an der Erderwärmung oder zumindest mangelnde Konsequenz anzudichten. Schliesslich würden die Klimastreikenden auch Fliegen, Autofahren und Stromverbrauchen. Auch diese Argumentation ist ein Ablenkungsmanöver: Seit Jahrzehnten weiss man vom menschgemachten Klimawandel und der Notwendigkeit die Treibhausgasemissionen einzuschränken. Seit 27 Jahren gibt es dazu internationale Abkommen. Nun sollen ausgerechnet diejenigen, die damals noch gar nicht geboren waren, verantwortlich sein? Während man über die Milliardenindustrie gar nicht erst redet, die die ganze Zeit über mit ihrer Auto-, Flug- und Ferienwerbung viele Bedürfnisse erst weckte?

Kommt dazu, dass es offensichtlich strukturelle Veränderungen braucht, um die Treibhausgasemissionen zu stoppen. Das Prinzip Freiwilligkeit ist völlig untauglich: Es braucht konkrete politische Massnahmen. Genauso, wie es politische Massnahmen brauchte, die massive Gewässer- und Luftverschmutzung der Schweiz in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einzudämmen. Und genauso, wie es Ende der 1980er Jahre internationale Verbote von Fluorkohlenwasserstoffen in Kühlmitteln und Sprays brauchte, um die lebenswichtige Ozonschicht in der Atmosphäre zu schützen.

Doch machen wir uns nichts vor. Beim Kampf gegen die Erderhitzung stehen diesmal weitaus mächtigere Lobbys im Weg. Die Kohle-, Öl- und Gasindustrie, die Auto- und Flugzeugbauer, die Airlines und Flughafenbetreiber, sie alle verfolgen noch immer eine Strategie, die den Treibhausgasaustoss nicht begrenzt, sondern weiter vorantreibt. Der Schweizer Rohstoffkonzern Glencore hat laut der «Handelszeitung» 2017 allein drei Milliarden US-Dollar in den Ausbau der Kohleförderung investiert und machte laut eigenen Angaben gegen über «20 Minuten» noch bis Februar 2019 mit einer verdeckten PR-Kampagne Stimmung für den Energieträger Kohle. Auch im ersten Quartal 2019 hat Glencore laut eigenen Angaben die Kohleproduktion gesteigert, auch wenn der Konzern inzwischen behauptet, die Kohleförderung nicht weiter ausbauen zu wollen.

Ölkonzerne wie Exxon, BP und Shell planen in den nächsten Jahren dutzende Milliarden in den weiteren Ausbau ihrer Förderanlagen zu investieren. Sie können sich dabei auf Kredite und Beteiligungen von Banken und Investmentgesellschaften stützen. Allein die 33 grössten Banken haben laut dem Bericht «Banking on Climate Change» verschiedener grosser Umweltorganisationen seit dem Klimaabkommen von Paris 1,9 Billionen US-Dollar der fossilen Industrie an Krediten zur Verfügung gestellt. Von der Credit Suisse kamen dabei 57,5 und von der UBS 28,8 Milliarden. Die Vernichtungsmaschine wird nicht nur einfach weiter am Laufen gelassen, sondern noch ausgeweitet. Dabei rechnen sich viele Investition erst, wenn noch Jahrzehnte lang weiter gefördert wird. Das heisst nichts anderes, als sowohl die Energiekonzerne wie wie kreditgebenden Banken aus purem Eigeninteresse einen raschen Umstieg weg von fossilen Energieträgern versuchen werden zu verhindern.

Angesichts dieser Machtballung, die aus reiner Profitsucht die Erderhitzung in Kauf nimmt, wird es eine riesige Kraftanstrengung brauchen, die Forderung nach Netto Null Emissionen nur schon bis 2050 durchzusetzen. Noch viel schwieriger wird es, die in den Industriestaaten nötigen noch schnelleren Absenkziele zu erreichen. Es braucht dazu wesentlich mehr als PolitikerInnen, die jetzt Verständnis und Sympathie für die Bewegung zeigen. Sie müssen über ihren Schatten springen, die Komfortzone verlassen, mit eingeübten Regeln und Verhaltenskodexe brechen. Sie müssen sich für radikale Massnahmen stark machen, die den Konzernen weh tun werden, möglicherweise Arbeitsplätze kosten und sie in den Bankrott treiben. Sie müssen konkrete Pläne für einen sozial-ökologischen Umbau entwickeln und zwar subito.

Auch in der Schweiz braucht der nötige Umbau hohe finanzielle Investitionen des Staats. Doch die eigentliche Herausforderung ist der globale Wandel. Es braucht einen gigantischen Kapitalbedarf, um den nötigen Umbau in den Ländern des Südens voranzutreiben und gleichzeitig dort die Bevölkerung vor den Auswirkungen des sowieso schon stattfindenden Klimawandels zu schützen, für den primär die Industriestaaten die Verantwortung tragen. Wer immer jetzt davon redet, sich für das Klima engagieren zu wollen, muss konkret werden und auch konkret sagen, woher die Gelder kommen sollen. Für einen sanften Übergang ins postfossile Zeitalter ist es längst zu spät.

Die Schülerstreikbewegung gegen die Erderhitzung muss deshalb weiterwachsen, denn ohne massiven Druck von der Strasse wird es nicht gehen. Von alleine wird sich die Politik nie und nimmer bewegen. Die desaströse Untätigkeit der letzten Jahrzehnte ist dafür Beweis genug. Doch die SchülerInnen alleine werden es nicht stemmen können. Die Bewegung muss sich auf alle Generationen ausweiten. Eltern, Grosseltern und Verwandte müssen davon überzeugt werden, sich auch zu engagieren – gerade weil sie ja nur das Beste für ihren Nachwuchs wollen. Auch sie müssen über ihre Schatten springen, ihr Rollenverhalten hinterfragen und mutig werden. Es braucht eine Massenbewegung. In der Pflicht sind alle.

Autor: Daniel Stern

Schreiben Sie einen Kommentar