Aufbruch in eine bessere Welt

Wie schaffen wir trotz der Klimakrise eine Gesellschaft, die alle Individuen ermächtigt und die individuelle Freiheit maximiert, ohne jedoch gesellschaftliche Strukturen zu verstümmeln? 

Das Konzept der partizipativen Wirtschaft (Parecon) meint Teil der Lösung werden zu können, indem genau dieser vermeintliche Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft vermieden werden soll. Die Parecon entspringt den Analysen der Probleme des Status Quo und leitet daraus einen möglichen Lösungsweg ab. Hierbei handelt es sich keineswegs um einen Bauplan, sondern mehr um einen möglichen Weg, um zum Ziel einer ökologischeren, solidarischeren und demokratischeren Gesellschaft zu gelangen. 

Die heilige Kuh der Schweiz ist immer noch ihre “direkte” Demokratie. Ihr Verständnis von Demokratie lassen die Schweizer*innen jedoch leider zu Hause und akzeptieren die autoritären Verhältnisse im Wirtschaftsleben, ohne mit der Wimper zu zucken. 

Die Befürworter*innen der Parecon erachten eben diese autoritären und hierarchischen Strukturen des Wirtschaftssystems als zutiefst problematisch für eine Gesellschaft, sowie für das Individuum. Diese Strukturen sind gefährlich, da sie Gesellschaften aushöhlen und eine Konkurrenz der Individuen erzwingen. 

Zwei essenzielle Grundsätze der Parecon sind Gerechtigkeit und Selbstverwaltung. Gerechtigkeit bezieht sich hier auf die Verteilung von Produktionsmitteln, Land und anderem Besitz, die einigen Menschen unverdiente Vorteile verschaffen. So führt der private Besitz von Produktionsmitteln beispielsweise in Form von gesellschaftlichen Vorteilen und Privilegien zu einer gestärkten Verhandlungsposition gegenüber den Mitmenschen.

Gerechtigkeit in einer Gesellschaft kann nur dann existieren, wenn jene Attribute eines Menschen belohnt werden, welche dieser Mensch aus eigener Kraft verändern kann. Erbschaften, Talente oder Besitz von Produktionsmitteln sind Zufälle, die meistens zu einer automatischen Konzentration von Kapital und Besitz führen. Diese Entwicklungen sollten nicht durch gesellschaftliche oder materielle Vorteile gefördert und belohnt werden. 

In der Parecon erhalten Menschen je nach produktiver Dauer, Intensität oder Risiken ihrer sozial wertvollen, wie gewollten Arbeit, einen variierenden Teil der gesamtgesellschaftlichen Produktion als Vergütung. Die Gesellschaft diskutiert in möglichst kleinem Rahmen, beispielsweise in Arbeiter*innenräten oder Kollektiven, worin genau diese sozial wertvolle Arbeit besteht. Selbstverständlich werden Menschen versorgt, die arbeitsunfähig sind oder von Alters wegen nicht arbeiten sollten, wie beispielsweise Kinder oder ältere Menschen.

Eng mit der Parecon verbunden ist die Idee der Selbstverwaltung. Diese soll allen Menschen ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Dieser Zustand soll erreicht werden, indem jede*r an der Entscheidung beteiligt ist, der oder die von dieser in irgendeiner substanziellen Art und Weise betroffen ist. Dieses Prinzip der Proportionalität ist relevant, da so Unterdrückung verhindert wird, indem die betroffenen Personen involviert werden. Ob Konsensprinzip oder Zweidrittelmehrheit gilt, spielt dabei keine Rolle. Die Art der Entscheidungsfindung sollte an die zu treffende Entscheidung angepasst werden. Keinesfalls sollte dogmatisch an einem Prozess festgehalten werden. Dies führt in den allermeisten Fällen zu einer Institutionalisierung des Prozesses, sodass die Methode schlussendlich die Entscheidung legitimiert, was fatal wäre.

Das kapitalistische System teilt die Menschen in Klassen. In der marxistischen Theorie stehen sich Kapitalist*innen und Arbeitende gegenüber. Die Verfechter*innen der Parecon sehen diese Unterteilung als unzureichend an, um die wahren Verhältnisse akkurat darzustellen. Die Klasse der Arbeitenden ist nämlich keinesfalls homogen, sondern teilt sich in Arbeitende, die entfremdende und mechanische Arbeit verrichten, und Arbeitende, die Teil einer privilegierten Minderheit sind, der koordinierenden Klasse, die den Zugang zu und das Wissen für kreative und erfüllende Arbeit monopolisiert hat. Diese Menschen arbeiten beispielsweise als Anwält*innen oder Ingenieur*innen. In dem kapitalistischen System verleiht ihnen die Natur ihrer Berufe Macht, mit der sie die Arbeitenden kontrollieren können. Diese Machtgefälle sollen in einer Parecon behoben werden, indem die Last entfremdender Arbeit gerecht auf alle aufgeteilt wird. Dies soll allen Menschen erfüllende Arbeit ermöglichen, da niemand sich mehr exklusiv mit entwürdigender Arbeit beschäftigt.

Um all die bereits erwähnten Veränderungen herbeizuführen, bedarf es der Abschaffung der Marktwirtschaft als Verteilungsmechanismus, da diese alle Probleme des Kapitalismus mitverschuldet. Wie sieht der Verteilungsmechanismus in der Parecon aus? Wie werden Ressourcen verteilt und Bedürfnisse erfüllt?

Die Ineffizienz der Marktwirtschaft sowie die einer zentralistischen Planwirtschaft führen zu Problemen, die durch den Prozess einer partizipativen Planung behoben werden sollen. Arbeiter*innen- wie auch Konsument*innenräte halten ihre Präferenzen und Bedürfnisse fest und kommunizieren diese, damit klar wird, wie hoch das Produktionsvolumen für das nächste Jahr tatsächlich sein wird. Diese Bedürfnisse werden immer unter Berücksichtigung der tatsächlichen sozialen und ökologischen Kosten formuliert. Dieser Planungsprozess geschieht mit maximaler Transparenz und einer Fülle an Informationen, um gemeinsam die bestmögliche Wahl zu treffen. Da die Parecon nicht dem Zwang zu mehr Profit untersteht, wird der Konsum nicht künstlich forciert, beispielsweise durch Werbeagenturen, andere private Firmen oder gesellschaftliche Strukturen.

Das Ziel der partizipativen Planung ist, die kollektiven sowie die individuellen Bedürfnisse möglichst effizient, das heisst ohne Verschwendung von Ressourcen, zu erfüllen. Jeder und jede kann das persönliche Leben nur durch gleichzeitige Förderung des kollektiven Wohlstands verbessern. Weil die Parecon Kooperation und soziales, rücksichtsvolles Verhalten fördert und so zum Status Quo macht, gerät rücksichtsloses Verhalten in Verruf und wird nicht wie im kapitalistischen System verstärkt. 

Wie hat’s die Parecon mit der Nachhaltigkeit?

Die kapitalistische Produktionsweise hat es bis heute nicht geschafft, die ökologischen Kosten und Konsequenzen adäquat zu berücksichtigen. Verfechter*nnen der Parecon wollen dieses Problem lösen, indem sie es gar nicht erst entstehen lassen. Die Gründe liegen in der Struktur des Systems.

Erstens existiert der kapitalistische Wachstumszwang in einer Parecon nicht. Somit fällt die Notwendigkeit zur Expansion weg. Die Produktion entspricht dank der partizipativen Planung dem tatsächlichen Konsum. 

Zweitens vertritt die Parecon Werte, die der Idee des Wachstumszwangs diametral entgegengesetzt sind. Im Unterschied zur kapitalistischen Auffassung werden ökonomische Transaktionen nicht nur von den zwei direkt betroffenen Menschen beschlossen. Stattdessen werden die Interessen aller betroffenen Menschen berücksichtigt. So werden Entscheidungen, die mehr Menschen als nur den/die Käufer*in und Verkäufer*in betreffen, von verschiedenen Individuen, Gemeinschaften und Räten aufgrund ihrer positiven und negativen Auswirkungen evaluiert und anschliessend entweder abgelehnt oder genehmigt. Die Vermeidung allen Abfalls wird nicht möglich sein, hierfür soll aber eine ausführliche Kosten-Nutzen-Analyse nach vorgestelltem Prinzip erstellt werden, um vorschnelle und kurzfristige Entscheide zu vermeiden.

Durch die Kommodifizierung werden selbst die Natur und andere Lebewesen zur Ware. Somit werden wir Menschen unsere Beziehung zu anderen Lebewesen überdenken müssen. Da die Konsequenzen einer ökonomischen Transaktion in einer Parecon ausführlicher analysiert werden, wird alles Leben auf diesem Planeten stärker gewichtet als der potenzielle Profit durch deren Ausbeutung. Die Parecon als solidarische Wirtschaftsform wird systemische Rahmenbedingungen schaffen, die die Solidarität mit allen Lebewesen begünstigt.

Die kritische Auseinandersetzung mit dem jetzigen System und der Gesellschaft mag einerseits sehr beängstigend, gar abschreckend wirken, lässt aber bei genauerem Betrachten das Potenzial erahnen, welches der angestrebte Wandel mit sich bringen kann. Dieses Potenzial kann seine Wirkung aber erst entfalten, wenn bereits Visionen skizziert wurden, die den Menschen diese Zukunft aufzeigen. Genau die Einsicht, dass dieses System menschlicher Imagination entspringt, erlaubt es uns, einfacher mit diesen Strukturen und Denkweisen zu brechen und neue zu schaffen.

Ingmar Nordborg

Schreiben Sie einen Kommentar