Transformation der Gesellschaft

Konsum oder Kollektiv?

In einer Wirklichkeit, in der alleine Ausbeutung zum Bruttoinlandsprodukt beiträgt und unsere Wahrheit von Medienmonopolen geformt wird, ist es Zeit, Utopien wahrzunehmen und wieder richtig hinzuschauen.

Ein gesellschaftlicher Umbruch resultiert aus einer langanhaltenden, kollektiven Unzufriedenheit. Er verlangt vollkommene Hingabe und Opferbereitschaft. Doch gerade heute, wo der Gegner kein Feudalherrscher ist, sondern viel abstraktere Komponenten, wie der Kapitalismus, das Patriarchat und die damit einhergehende Klimakrise, findet sich das Feindbild nur schwer. 

Mittlerweile gibt es zwar Lösungsansätze wie Arbeitszeitreduktion, Vaterschaftsurlaub oder die Nutzung alternativer Energien. Doch sie werden als utopische Initiativen abgestempelt. Wir erkennen nun zwar, dass ohne Aktivismus der Minderheiten keine Veränderung gelingt – doch die Banken und Konzerne garantieren uns zu viele Privilegien, als dass wir uns als Märtyrer*innen hervortäten. Unsere Realität wird diktiert von Medienmonopolen und Lippenbekenntnissen, die uns versichern, dass es uns an nichts fehlt. 

Inspirierend ist im Angesicht dessen die Entwicklung eines Gebietes am türkisch – syrischen Grenzbereich; Rojava.

Ein Ort, an dem man kaum eine grüne, geschweige denn eine soziale Revolution erwarten würde, denn durch die Lage inmitten diktatorischer Regime sind Menschenrechte oder Utopien schwer vorstellbar. Doch trotz dessen vereinen sich dort kulturell und ethnisch scheinbar inkompatible Menschen. Vergleichsweise interessant ist demnach, dass wir im Westen jegliche Mittel für eine solche Entwicklung hätten und doch ist Komfort hierzulande stärker als das Kollektiv.

In Rojava, das von Unterdrückung geprägt ist und vom Widerstand lebt, hat sich mittlerweile ein Gesellschaftsvertrag etabliert, der bei dessen Verletzung sogar die syrischen Gesetze ausser Acht lässt. Dieser beinhaltet die Abschaffung der Todesstrafe, Religionsfreiheit und eine Frauenquote von vierzig Prozent. Feminismus ist jedoch, auch die Frauen*einheiten, die zahlreichen Studentinnen und die jungen Mädchen, die ihren Anspruch auf Bildung einfordern, spiegeln ihn. 

Rojava ist das Beispiel eines intakten Ökofeminismus, denn nur durch die Arbeit, die von Frauen* und Männern* gleichsam verrichtet wird, kann sich diese Gesellschaft autonom erhalten. Genau das stellt in der Schweiz das Problem dar; eine Gesellschaft basiert nicht mehr allein auf Zusammenarbeit und der Nutzung gegebener Ressourcen, stattdessen lebt ein minimer Teil der Gesellschaft auf Kosten der anderen. Frauen* werden unterdrückt, um die nächste Generation von Arbeiter*innen hervorzubringen, während der Partner umso effizienter Profit generiert. Natürliche, nachhaltige Ressourcen werden ignoriert, nur um mit der Nutzung von fossilen Brennstoffen einen toten Planeten zu dominieren. Rojavas Wirtschaft hingegen basiert hauptsächlich auf einem demokratischen Konföderalismus, ein zentraler Aspekt hierbei ist die Abschaffung des Staates. Es gelten keine Hierarchien oder Klassen. Ausserdem haben sich seit dem Jahre 2012 über hundert Genossenschaften gebildet, Boden wird gemeinschaftlich genutzt und ein geringer Teil wird von Arbeiter*innenräten verwaltet.

Da die Macht des Kapitalismus so konzentriert ist und Widerstand mehr illegalisert und überwacht wird als je zuvor, ist es an der Zeit, sich die Frage zu stellen, wie man gegen eine Macht kämpft, die den gesamten Globus umklammert. 

Ein zentraler Punkt ist jedoch, dass es keine Notlage braucht, wie in Rojava, um eine Gesellschaft nachhaltig und sozial umzugestalten. Die Problematik ist, dass wir statt Auswegen Umwege wählen, wenn greifbare Lösungen vorhanden sind. Wie kommt es, dass in einem Gebiet, wo das eigene Leben so kurzweilig sein kann, langfristige Lösungen generiert werden und in den Ländern der grenzenlosen Möglichkeiten nur an morgen gedacht wird? 

Ein wichtiger Aspekt hierbei ist die lokale Produktion und Nutzung von Lebensmitteln. Leider ist die Schweiz bisher bloss in der Lage, sich zur Hälfte selbst zu versorgen. An dieser Stelle scheint Import die einzige Lösung zu sein, während wir fünfzig Prozent der produzierten Lebensmittel wegwerfen. Daraus lässt sich schliessen, dass auch wir in der Lage wären, uns autonom zu verpflegen.[1]

Es ist unumgänglich, diese Kritik klar zu differenzieren. Denn oft wird das Verhalten der Einzelperson angeprangert – wenn eigentlich Grosskonzerne wie Nestlé und Co. in jedem Migros-Regal zu finden sind. Zudem können sich die meisten Familien nur günstige und oft importierte Massenware leisten. Die Einzelperson kann also nicht für fehlende staatliche, sowie politische Initiative verantwortlich gemacht werden. 

Das ist ein Beispiel dafür, dass wir nicht länger auf einen plötzlichen Linksrutsch oder politische Einsicht hoffen können – denn wenn bis 2020 nicht radikale Veränderungen und eine grüne Politik Einzug nehmen, ist der sogenannte Tipping Point nicht mehr weit weg.

Unser momentanes System baut auf einer kapitalistischen Hegemonie auf, die uns immer mehr einschränkt. Die stetige Möglichkeit zu konsumieren, und den Konsum als Belohnung wahrzunehmen, entzieht uns etwas, ohne uns langfristig wirklich zu befriedigen; unsere Kreativität. 

In Rojava waren die Menschen gezwungen, kreativ zu werden, gezwungen eine bestmögliche Gesellschaftsform aus dem Boden zu stanzen, wohingegen wir Kreativität als unversiegbare Quelle des Widerstandes nutzen können. Es war Oscar Wilde, der einst sagte: „Eine Weltkarte, die das Land Utopia nicht enthielte, wäre es nicht wert, dass man einen Blick auf sie wirft, denn in ihr fehlt das einzige Land, in dem die Menschheit immer landet.“

Also ja, möglicherweise sind die nötigen Veränderungen radikal – ja auch utopisch – und doch leben wir in einer Welt, die noch im Mittelalter als Schlaraffenland gegolten hätte. 

Wir sind nicht hier, um als leere Hüllen einem System zu dienen, das uns nicht dient. Wir sind hier, um zu ändern, was uns stört. Vielleicht ist es das, was Rojava so aussergewöhnlich macht, diese Gemeinschaft, die sich zusammengetan hat, um gegen etwas zu kämpfen, das anfangs grösser als sie selbst war. Und doch hat xxx diese Gemeinschaft Familie, Heimat und sogar das Leben gekostet. Noch haben wir die Möglichkeit, unsere Fehler wieder gut zu machen. Das einzige, das zwischen uns und einer Utopie steht, sind Konstrukte, die uns weiss machen wollen, dass Geld die Welt regiert. Doch wenn die Geschichte uns eines zeigt, dann dass der Glaube an Utopien einer Gesellschaft dazu beiträgt, sich nicht mehr an den Maßstäben des Systems zu messen, sondern sich eigene Maßstäbe zu setzen und das System nach ihnen zu formen. 

Nina Federer

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