Von der Herkunft und der Nützlichkeit des Streikes


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Das Wort Streik ist in der Schweiz in aller Munde. Zwei Bewegungen, die eine feministisch und die andere ökologisch, bekennen sich zum Streik und haben diesen Begriff in der Tat popularisiert. Eine Losung schwebt in der Luft: Auf dem Weg zum Generalstreik! Aber was genau ist eigentlich ein Streik?

Ein Streik ist die Einstellung der ökonomischen Aktivitäten durch die Arbeiter*innen, welche divergierende Interessen von denen der Arbeitgeberschaft haben. Der Streik kann unterschiedliche Formen annehmen oder mehrere Aktionen vereinen, wie zum Beispiel Demonstrationen, Sabotage, Aktionen, die die Möglichkeiten der Organisation nutzen, Gerichtsprozesse, Verhandlungen etc. Das Ziel des Streikes ist es die Rechte der Arbeitnehmer zu verteidigen oder neue zu bekommen. Das Interesse eines Streikes kann sehr spezifisch sein (eine Entscheidung einer Unternehmung) oder aber sehr weit gefasst (soziale Fortschritte für die gesamte Bevölkerung).

Arbeitskonflikte existieren seit langer Zeit. Seit Beginn der Spezialisierung haben die Dominierten immer Phasen des Kampfes gegen die Domminierenden gekannt. Diese Konflikte hatten verschiedene Formen. Im 19. Jahrhundert haben die sozialistischen Arbeiterbewegungen verschiedene Formen im Kampf gegen das Unternehmertum angewendet [1], darunter auch den Streik. Als eine wichtige, wenn nicht sogar zentrale, Aktionsform hat der Streik die Jahrzehnte überdauert und bleibt sogar in der Schweiz ein kraftvolles Mittel.

Viele Beispiele zeigen es, der Streik ist effektiv! In Frankreich haben die Streiks und Besetzungen von Unternehmungen im Jahr 1936 dazu geführt, dass es bezahlten Urlaub gibt. Die Mobilisation 1968 führte zu einem generellen Gehaltsanstieg. Auch in der Schweiz haben Streiks kürzlich zu unleugbaren Erfolgen geführt [2] und dies trotz starker Repression durch die Arbeitgeberschaft, einem lächerlichen, rechtlichen Schutz der Arbeitnehmer (die IAO prangert die Schweiz dafür an) und einer prozeduralen Behinderung des Streikrechts. So hat das Rohbauwerk die vorzeitige Rente mit 60 Jahren erwirkt. Der Streik ist nicht nur ein Mittel zur Verteidigung, sondern auch ein effektives, offensives Mittel.

Damit ein Streik in der Schweiz zulässig ist, muss er sich auf die Beziehungen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerschaft beziehen, den Arbeitsfrieden respektieren, wenn er in einem Tarifvertrag festgehalten wurde und er muss ebenfalls die letzte mögliche Lösung sein. Der Streik kann spontan sein, oder aber wie meistens im Vorfeld von einer Gewerkschaft organisiert werden. Die Einstellung der Aktivität kann in der Dauer variieren, von mehreren Stunden bis hin zu mehreren Tagen. Weil die Arbeitnehmer*innen während dieser Zeit nicht bezahlt werden übernehmen Streikfonds den Gehaltsaufall der Arbeitnehmer*innen. Die Sekretäre, welche oft von den Gewerkschaften bezahlt werden, spielen eine zentrale Rolle, sie führen ein Mandat, erteilt von den Streikenden, aus. Es ist ein gemeinsamer Kampf, welcher starke Verbindungen und eine Solidarität zwischen den Streikenden entstehen lässt. Aber ein Streik ist schwierig zu führen und es ist selten, dass die Forderungen vollständig erfüllt werden. Dennoch zeigen viele Beispiele die Effektivität von Streiken in den folgenden Bereichen: Verringerung von gestrichenen Stellen, Erhöhung des Lohns, oder einen vorzeitigen Ruhestand. Damit der Streik erfolgreich ist, muss eine Kohäsion zwischen den streikenden Personen bestehen, aber es müssen auch finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, um sie zu unterstützen.

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Des Weiteren muss auch außerhalb der Streikszene Druck aufgebaut werden. Es ist selten, dass keine der von den Streikenden gestellten Forderungen erfüllt wird.

Unsere Bewegung hat ihre Anfänge in Schulstreiken genommen. Dies ist untypisch, obwohl unsere Aktionen weder neuartig, noch singuläre Ereignisse sind. In unserem Fall war der Streik nahezu wild, das heißt ohne das er von einer Gewerkschaft geplant wurde, teilweise war er sogar spontan (die Streikenden haben sich teilweise am selben Tag dazu entschieden, dass sie ihre Bildungsaktivität, welche als Form der Arbeit angesehen werden kann, einstellen) und nach der Schweizer Rechtsprechung war er „politisch“ (obwohl jeder Streik per se politisch ist). Die ersten Streiks waren ein Aufschrei des Herzens, gerichtet an die Unternehmen, aber vor allem auch an den Staat, die entstandene Sogwirkung überschreitet bei weitem die Grenzen der Bildungsinstitutionen. Aber wir haben mehr und mehr Verbindungen mit den Gewerkschaften (aber auch mit den streikenden, feministischen Kollektiven) und das unpräzise Wort Generalstreik nimmt zunehmend Form an, die Ziele und die Forderungen werden zunehmend konkreter. Der erste Meilenstein auf dem Weg zum Generalstreik wurde festgelegt: Der 15. Mai 2020.

Wir stellen uns vor allem die Frage, wie wir streiken wollen. Das Warum jedoch ist zentral. Wenn wir streiken, dann ist das, weil der Streik sowohl sozial als auch politisch ein effektives Mittel ist. Die Wirtschaft ist zentral bei der Frage nach der ökologischen Krise und sie spielt eine zentrale Rolle in unserem politischen System. Eine Veränderung bei der Produktion, bei der Verteilung der Güter und bei den öffentlichen Diensten ist eine Veränderung im Zentrum der Macht. Folglich öffnet uns dies die Bahn für die konsequenten Veränderungen, die wir brauchen. Der Streik ist ein kollektives Mittel, welches weitaus wirkungsvoller ist als die Mehrzahl der individuellen Aktionen. Er ermöglicht es den Arbeitnehmer*innen dafür zu kämpfen, dass die Maßnahmen, die die Klimakrise abschwächen sollen, nicht antisozial sind.

Um die Arbeitnehmer*innen zu erreichen brauchen wir die Gewerkschaften (aber wir müssen uns ebenfalls in anderen Strukturen Unterstützung suchen), ihren Aktionsformen, ihren Streikfonds und ihrer Erfahrung. Wir müssen umfassend mit ihnen und allen anderen progressiven Kräften konvergieren.

Was nach dem Generalstreik passiert bleibt noch offen, wird jedoch mit Fortschreiten des Kampfes determiniert werden. Aber es ist fundamental sich die Frage nach dem Ziel des Generalstreikes zu stellen. Selbstverständlich sind die Ziele ökologischer und sozialer Natur, aber sollte der Streik, wie es einige befürworten zu einem Umsturz der „alten Welt“ führen, dasheißt einer Überwindung der Klassengesellschaft, der kapitalistischen Gesellschaft als Ganzes? Sollte er ein Element sein, in der Kette der Dinge die zu diesem Ziel führen? Sollte er die Leiter*innen der großen Unternehmen und des Staates aus ihren Positionen verdrängen um sie zu ersetzen? Sollte er zum Wandel anregen, ohne dabei jedoch die wirtschaftlichen Strukturen zu stürzen? All diese Positionen und noch andere gibt es in unserer Bewegung. Ich persönlich unterstreiche jedoch, dass es meiner Meinung nach nicht möglich ist unsere Ziele zu erreichen, wenn unser wirtschaftliches System auf unendlichem Wachstum, in einer Welt mit endlichen Ressourcen, basiert. Ich würde sogar so weit gehen die Aufhebung der Dreieinigkeit Kapital- Staat-Nation [3] zu fordern, aber jede*r muss selbst über diese Frage nachdenken.

Was also tun? Die Frage wird nur in der Aktion gelöst werden.

Streiken wir alle gemeinsam am 15. Mai 2020!

Robin Augsburger, Zivildienstleistender, Bachelorabschluss in Bio- und Ethnologie. Aktiv in den Bereichen Ökologie, Migration und in Studentengewerkschaften.

Quellen:

[1] POUGET Emile, Le Sabotage, 1911, disponible à l’adressehttps://infokiosques.net/IMG/pdf/Le_sabotage_-_Emile_Pouget.pdf

[2] ALLEVA Vania, RIEGER Andreas (éd.), Grèves au 21e siècle, Rotpunktverlag, 2017, Zürich

[3] KARATANI Kojin, Structure de l’histoire du monde, CNRS Éditions, 2018, Paris

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