Wir eins zu eins

Nachhaltigkeit ist heute unmöglich, der Profit bestimmt das Wirtschaftsgeschehen. In Oberösterreich baut ein Verein nun aber eine Alternative auf – und zeigt damit zugleich, wie wir vorgehen könnten. Doch es bedarf auch der Kritik und Weiterentwicklung.

Wir befinden uns in Linz im Oberösterreichischen. Wenn du hier durchfährst, wird dir auf den ersten, ja auch auf den zweiten Blick wohl nichts Besonderes auffallen. Doch seit einigen Jahren läuft hier ein Projekt, das mit dem Streben und Druck der Profitmaximierung grundsätzlich bricht. Antikapitalistische Parolen oder Kampagnen, geschweige denn militante Aktionen wirst du hier dennoch lange suchen. Politische Banner gross zu schwenken, entspricht nicht der Bewegung, die sich im Verein „Wir Gemeinsam“ organisiert. Die Rede ist von der Tausch- und Alternativwährungsbewegung. In der Schweiz, den USA, Argentinien, ja eigentlich so ziemlich überall, lassen sich lokale Versionen der Bewegung finden. Die Bewegung ist dabei so heterogen, wie sie nur sein könnte. Was alle eint, ist einzig die Idee, ein selbstorganisiertes Währungs- oder Tauschsystem aufzubauen.
Eines der weltweit grössten dieser komplementären Systeme, die „WIR-Bank“, befindet sich in der Schweiz. Ziel ist, die Region zu stärken. Die Wir-Bank stellt gewissermassen die Zentralbank dar, die die Währung WIR herausgibt, die dann eins zu eins in Schweizer Franken umgetauscht werden kann. In seinem Prinzip unterscheidet sich dieses System also nicht vom Status quo. Doch was in Oberösterreich zusammengeschustert wird, unterscheidet sich grundlegend von der WIR-Bank (die übrigens nichts miteinander zu tun haben). Der Grundsatz lautet dort genauso eins zu eins, nur eben nicht bezogen auf den Wechselkurs, sondern auf den Stundenlohn. Dies verunmöglicht, dass Profite überhaupt generiert werden und beendet so den Wachstumszwang und die ökonomische Machtkonzentration. Der Ansatz hat also Potenzial.

Doch dafür, dass so ein System tatsächlich als Alternative taugt, braucht es etwas mehr als den Grundsatz des Eins-zu-eins-Stundenlohns. Seit mindestens 200 Jahren gibt es Versuche, diesen Grundsatz gezielt umzusetzen. Beispiele wie Josiah Warrens “Modern Times”, die es sich lohnen würden, mal genauer untersucht zu werden, gibt es genug. Mit Blick auf solche Versuche scheint mir, dass für ein alternatives – und nicht nur komplementäres – System neben einem “eins zu eins” und der kritischen Grösse eben auch zentral ist, wie die Geldschöpfung und das Kredit- bzw. Investitionssystem funktionieren; wie dieses organisatorisch aufgebaut ist und wie der Wechselkurs mit anderen Währungen zustande kommt.
Wir Gemeinsam zählt im weiteren Sinne zu den Tauschsystemen, innerhalb dieser zu den Alternativwährungs- und innerhalb dieser wiederum zu den Zeitbanken-Systemen. Soviel ist bereits gesagt. Die Währungsschöpfung ist bei Wir Gemeinsam dezentral organisiert. Konkret bedeutet dies, dass du als Teilnehmer*in ein Konto erhältst. Dieses kannst du einerseits um bis zu 100 Wir-Stunden überziehen. Andererseits kannst du für andere Teilnehmende Leistungen erbringen, ohne dass diese selbst zahlen müssen. Du erhältst die Wir-Stunden dann vom Verein. In beiden Fällen wird so Geld geschöpft. Bezüglich des Wechselkurses verhält sich die Sache einfach. Die Wir-Stunde kannst du schlicht nicht kaufen und verkaufen. Einzig um die Umrechnung von Euro in Wir-Stunden zu erleichtern, wird ein Wertverhältnis von 10 Euro pro Stunde definiert. Wie viel beispielsweise eine Ein-Euro-Semmel bei der lokalen Bäckerin in Wir-Stunden kostet, kannst du, wie auch die Bäckerin, leicht selbst errechnen: 6min. Ab 2020 wird dieses Wertverhältnis dann der realen Teuerung angepasst. Organisatorisch wiederum ist Wir Gemeinsam soziokratisch strukturiert. Für die Nachbarschaftshilfe und alle anderen Arbeitsbereiche existiert jeweils so etwas wie eine Arbeitsgruppe, ein Arbeitskreis, der mit anderen Kreisen personell verbunden ist. Diese Kreise übernehmen so ziemlich jede Aufgabe im Verein. Auch jene, die heute im weitesten Sinne die Justiz oder die Banken innehaben. Wobei wir beim Investitionssystem angelangt wären. So wirklich existiert dieses nicht. Nach Absprache mit dem entsprechenden regionalen Arbeitskreis ist es möglich, das Konto als Betrieb um bis zu 2’000 Wir-Stunden zu überziehen. Heisst, ein Betrieb kann zinsfrei einen Kredit mit einem Warenwert von circa 20‘000 Euro beziehen. Mehr ist nicht vorgesehen.

Taugt dieses Wirtschaftssystem, das mich ständig an „freie Assoziation“ und „Arbeitszeitscheine” denken liess, nun als Alternative? Bevor ich mich etwas tiefer einlas, dachte ich ja. Heute zweifle ich. Warum? Zum Ersten muss auch ein alternatives Wirtschaftssystem, sofern es nicht grossflächig staatlich erzwungen wird, es ermöglichen, mit Akteur*innen anderer Systeme zu interagieren. Und zwar aus einem einfachen Grund: Meine Miete und ähnliches werde ich sonst nicht bezahlen können und zu diversen Ressourcen hab’ ich dann auch keinen Zugang. Das führt letztlich dazu, dass ich eben doch ein Standbein im vorherrschenden System benötige. Dass es so etwas wie einen Wechselkurs braucht, verunmöglicht darauffolgend weiter, die Geldschöpfung Einzelnen zu überlassen. Zweitens, und das ist der noch entscheidendere Punkt, braucht ein Wirtschaftssystem ein Investitionssystem. Das vorherrschende Wirtschaftssystem setzte sich unter anderem dank diesem durch. So wie Wir Gemeinsam funktioniert, kann eine Bäckerin mit ihrem Betrieb zwar ins System einsteigen, jedoch keine Bäckerei gründen. Das System lässt also kaum kostenintensive gesellschaftliche Projekte zu, ist daher unglaublich träge und kann letztlich nicht auf Kosten des Status quo wachsen. Und darum geht’s ja. Dass es Banken gibt, die entscheiden, worin investiert wird und worin nicht, ist für die Katz. Die Funktion, welche Banken einnehmen, muss aber auch in einer Postwachstums-Wirtschaft durch ein Organ übernommen werden – beispielsweise durch demokratische Quartierbanken.

Was von Wir Gemeinsam also bleibt, ist die Strategie, auf Freiwilligkeit basierende Alternativen selbst aufzubauen sowie die Grundidee des Eins-zu-eins-Stundenlohns verbunden mit einer Alternativwährung. Von der Kritik am oberösterreichischen Versuch bleibt die Erkenntnis, dass wir ohne ein funktionierendes Investitionssystem und ohne Interaktionsmöglichkeiten mit anderen Systemen nirgends hinkommen, geschweige denn das vorherrschende Wirtschaftssystem verdrängen können. Es bräuchte ein System, das auf Kosten des vorherrschenden wächst, ohne im Inneren selbst wachsen zu müssen. Daran zu arbeiten, könnte sich lohnen.

Diego Gehrig

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