Wie weiter?

Ein halbes Jahr ist vergangen seit der ersten Massenaktion in der Schweiz. In den ersten Monaten des Klimastreiks durfte man sich noch zu Recht fragen, ob dieser nicht einfach eine weitere Eintagesfliege bleiben wird. Rasch ist die Bewegung jedoch gewachsen, hat effektive Strukturen gebildet und konnte sich mehr oder weniger in den Medien halten. Zuletzt zeigte die Bewegung auch Wirkung auf die staatlich-institutionalisierte Politik: Unter anderem im Kanton Luzern, Basel und Zürich. Inzwischen ist also klar: Der erste Tag ist überstanden, die erste Phase abgeschlossen. Der Klimastreik lebt.

Die Ziele, die der Klimastreik in der Schweiz verfolgt, sind klar: Mit unseren drei Forderungen und unserer Klausel zielen wir auf einen sozialverträglichen Stopp des Klimawandels. Demgegenüber bleibt offen, wie wir unsere Ziele überhaupt erreichen sollen. Es stellt sich daher zunehmend die Frage: Und nun, wie weiter?

Zuallererst einmal, um was geht es bei der Frage überhaupt? Der Klimastreik lebt also und die Forderungen sind klar. Was demgegenüber beim «Wie weiter» interessiert, ist wie wir als Bewegung strategisch vorgehen sollten, um unserer Ziele zu erreichen; daran anschliessend, welche die richtigen Taktiken sind und daran wiederum was du und ich nun tun sollten. Kurz; was zu tun ist, um effektiv zu sein. Als Bewegung und als Individuum; kurz-, mittel- und langfristig; taktisch und vor allem strategisch.

Taktiken hat der Klimastreik inzwischen einige entwickelt und von anderen Bewegungen übernommen (Siehe S.8/9). Darüber hinaus lassen sich leicht weitere finden bspw. auf der Global Nonviolent Action Database. Im Gegensatz zu Taktiken fehlt dem Klimastreik jedoch eine Strategie, die alle Tätigkeiten auf ein Ziel, einen kritischen Punkt in der vorherrschenden Gesellschaft richtet, um diese zu verändern. In welchem Verhältnis stehen die Strategie und Taktiken? Eine Strategie hat was von einem roten Faden von der Ausgangslage A zum Ziel B. Dieser rote Faden besteht aus vielen kleinen Fasern, eben den Taktiken und Einzel-Konzepten. Der Klimastreik hat inzwischen eine Sammlung von solchen Fasern, ist aber noch weit davon entfernt, zwischen den einzelnen Fasern auszuwählen, sie gezielt zu nutzen und zu einem gerichteten roten Faden zusammenzubringen.

Welche Möglichkeiten gibts denn? Wie würde eine umfassende Strategie konkret aussehen? Wenn wir mal in der Weltgeschichte umherschauen, zeigen sich zumindest ein paar Strategien. Die naheliegendste (da lauthals beschworene) wäre die Veränderung des individuellen Konsumverhaltens und damit des Angebots und der Produktion. Die Konsumierenden haben aber schlicht nicht die Macht über die Wirtschaft. Unter den ernst zu nehmenden Strategien zielt der Grossteil auf den Staat und die institutionalisierte Politik. Erstens können wir Druck von Aussen üben, um die Entscheidungen zu beeinflussen. Zweitens könnten wir versuchen, selbst Teil der institutionalisierten Politik zu werden, sprich eine Partei werden oder Initiativen lancieren. Drittens gibt es die Möglichkeit eines Umsturzes. Von diesen dreien sind die letzten zwei aber doch wenig prickelnd. Sie entsprechen weder dem Klimastreik, noch sind sie in brauchbarer Frist erfolgversprechend. Neben dem Fokus auf das individuelle Verhalten und umgekehrt die staatliche Politik gibt es noch eine fünfte Möglichkeit: Parallelstrukturen und Alternativen aufzubauen. Neben diesen fünf Proto-Strategien, von denen für den Klimastreik ja eigentlich bloss zwei interessant sind (Druck ausüben und Alternativen aufbauen), gibt es sicherlich noch andere, die wir aktiv suchen sollten. Diese fünf decken aber den Grossteil des bisher Diskutierten ab.

Viel mehr als Proto-Strategien sind sie jedoch noch nicht. Wie kommen wir nun zu einem roten Faden, zu einer kohärenten Strategie, die konkreter wird? Eine Methode zur Strategieentwicklung wäre hilfreich. Im Rahmen der Vorbereitungen zum letzten nationalen Treffen haben einige der Beteiligten bereits die SWOT-Analyse kennengelernt. Im Wesentlichen wird bei dieser zu Beginn das Ziel definiert, nach der Ausgangslage und der Strategie gefragt, zwischen dem Subjekt und dem Umfeld unterschieden und das Ganze dann mit Blick auf die Akteur*Innen detaillierter betrachtet. Im Kern stellt sie eine Zergliederung und Zusammenstellung von Fragestellungen und Untersuchungsgegenständen dar – das Prinzip einer Analyse. Bereits mit einer solchen Zusammenstellung von einigen differenzierten Fragen und Aspekten wie bei der SWOT-Analyse kommt man relativ weit. 

Übernehmen wir diese Methode in rudimentärer Form einmal. Wir unterscheiden also zwischen der Ausgangslage, dem Ziel und der Strategie; und im Rahmen der Ausgangslage zwischen dem Subjekt (dem Klimastreik) und dem Umfeld. In welchem Verhältnis stehen die drei Aspekte in einer Analyse? Am Ende der Strategieentwicklung stehen die sie in einem ähnlichen Verhältnis zueinander wie der Startpunkt, das Ziel und der Weg einer Wanderung. Zu Beginn der Entwicklung einer Strategie ist jedoch weder klar, wie die Ausgangslage aussieht – denn ich weiss noch gar nicht, auf was achten – noch wie das Ziel aussieht – da es mehrere mögliche gibt und ich ohne Strategie noch gar nicht weiss, welches Ziel ich am einfachsten erreiche. Die Ausgangslage, das Ziel und die Strategie können daher bloss wechselseitig bestimmt und entwickelt werden. Irgendwo muss man daher beginnen und das Folgende kann nicht mehr darstellen als ein Startpunkt für die kritische Weiterentwicklung.

Machen wir also noch einen Schnelldurchlauf. Was haben wir schon? Aufgrund der Überlegungen oben können wir von zwei Proto-Strategien ausgehen, die zur Auswahl stehen: Druck ausüben und (systemische) Alternativen aufbauen. Wie steht es um die Ausgangslage und das Ziel?

Zur Ausgangslage mit Blick auf die wichtigsten Ressourcen – let’s say Wissen/Ideologie, Strukturen, Aktive, Netzwerke/Kontakte, Image und Geld: Aufgrund der sozio-ökonomischen Position der Aktiven – als Bildungsbürgertum – haben wir einen guten Zugang zu Wissen, entscheidenden sozialen Netzwerken und Geld. Unsere Struktur hat dabei was von anarcho-syndikalistischen Organisationen – was durchaus gut ist: Hierarchien werden bekämpft und die kleineren Organe sind relativ autonom, was uns agil macht. Unser Image wiederum ist bei einem Grossteil der Bevölkerung wahrscheinlich eines von harmlosen Gymischüler*Innen, die es bloss gut meinen – was immerhin verunmöglicht, uns an den gesellschaftlichen und politischen Rand zu drängen. Einzig bei den Aktiven hapert es. Wir sind alles andere als wenige, sind aber auf das Bildungsbürgertum beschränkt. Mit Blick auf unsere Ressourcen stehen wir alles in allem aber gut da. 

Unsere Herausforderung ergibt sich dementsprechend weniger dadurch, dass wir schlecht ausgerüstet sind, sondern dadurch, dass wir vor der Eigernordwand stehen. Denn wie sehen die Machtverhältnisse zwischen uns und den Instanzen aus, die zentral für eine Veränderung wären? Diese Instanzen sind zum einen sicherlich die Wirtschaft, zum anderen die Politik und der Staat. Nun, die Politik ist eingefahren in ein Links-Rechts-Schema und Strömungstraditionen, die Veränderungen kaum zulassen. In der Wirtschaft wiederum gilt, Geld ist Macht. Sprich wir haben kaum Macht über die Wirtschaft. Zumindest auf einen dieser beiden trägen Kolosse sind wir aber (scheinbar) angewiesen, um  etwas zu verändern. Wenn wir sie nicht umgehen wollen/können, müssen wir demnach an kritischen Punkten ansetzen, die uns ermöglichen mit wenig Kraftaufwand viel Wirkung zu erzielen.

Aber noch zum Ziel: Gerade bei der Entwicklung einer Strategie kann es sinnvoll sein, das Ziel in konkrete Umsetzungspläne zu übersetzen. Das ermöglicht die Strategie gewissermassen rückwärts vom Ziel her zu entwickeln. Zwei Formen von Umsetzungsplänen sind aufgrund der Proto-Strategien offensichtlich: Erstens die Zusammenstellung von Gesetzesvorschlägen und Massnahmen und zweitens der Aufbau von Alternativsystemen und Parallelstrukturen, die die jetzige Politik und Wirtschaft einfach umgehen und in die Irrelevanz verdrängen. Eine mögliche Zusammenstellung von Gesetzesvorschlägen bietet die Klimaallianz oder Matthias Kern im Artikel Ökologie: Was soll der Klimastreik fordern und welche Lösungsansätze muss er bieten?; ein Überblick über unterschiedliche Ansätze zu alternativen Wirtschaftssystemen bietet Gisela Notz’s Theorien alternativen Wirtschaftens; und eine Möglichkeit einer Parallelstruktur zur vorherrschenden Politik stellen Bürger*Innenversammlungen dar – wie das Memorial von Uster 1830, das den modernen Kanton Zürich ermöglichte – eingefasst in konförderale Strukturen – Strukturen wie sie der CNT in Spanien kennt.

Tragen wir alles einmal zu einem provisorischen Vorschlag einer Strategie zusammen: Im Prinzip widersprechen sich Druck und Alternativen aufbauen nicht –  fahren wir doch also zweigleisig. Durch das Aufbauen von Alternativsystemen umschiffen wir die beiden Kolosse und setzen zugleich noch mehr Druck auf. Das funktioniert wahrscheinlich am effektivsten, wenn wir schlicht die Politik ersetzen d.h. alternative Entscheidungsprozesse für die Gesellschaft aufbauen. Wir würden uns beim Aufbauen von Alternativen also zuerst auf das Wirtschaftssystem sowie die Politik konzentrieren. Beim Druck aufsetzen gilt es wiederum, eine Drohkulisse aufzubauen – und hin und wieder tatsächlich dorthin zu zielen, wo’s weh tut bzw. mühsam ist. Die Streiks sind ein gutes Beispiel für eine Taktik, die Druck aufbaut. Bei einer Aktion aber, die weder eine bedrohliche Kulisse aufbaut, noch die Politiker*Innen zumindest mittelbar in Bedrängnis bringt, muss man sich also fragen, ob eine andere nicht geeigneter wäre. Unabhängig davon welche Strategie wir wählen, kann es Sinn machen, sich als Produktionsstätte der eigenen Ressourcen zu verstehen und diese dementsprechend stets zu erweitern, um als Bewegung aus unseren kleinen Möglichkeiten grosse zu machen. Soviel dazu, soviel zur Strategie. 

Und nun, wie weiter? Klar ist, dass ein paar Zeilen von Einzelpersonen niemals ausreichen werden, um Grundsatzfragen zu klären. Wir müssen gemeinsam und wesentlich differenzierter an die Frage herangehen. Der Text zum Konsensprinzip behandelt den gemeinsamen Entscheidungsprozess. National und in einigen Regionen gibt es die Arbeitsgruppen «Education and Values» und «Strategy and future». Genauso wie es einen Entscheidungsprozess und solche Räume und Strukturen braucht, die die Arbeit an solchen Fragen erst ermöglichen, braucht es in Zukunft auch eine Koordination der inhaltlichen Arbeit am «wie weiter?»; und damit so etwas wie ein bewegungsinternes Forschungsprogramm, das die Frage wirklich zu beantworten vermag.

Diego Gehrig

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